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Ukraine: Die Privatisierung Schlägt Zu

August 10, 2015
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NEOPresse

Seit dem Beginn der Konflikte in der Ukraine hat sich die Berichterstattung ein wenig zurückgezogen. Der Regierungswechsel in Kiew hatte ein Abspalten von Regionen im Osten zur Folge, was wiederum eine bewaffnete Auseinandersetzung hervorrief, die bis heute anhält.

Schon zu Beginn haben viele versucht, die Hintergründe und Interessen von Beteiligten und anderen Akteuren in den Mainstream zu bringen, vergeblich. Geopolitisch ist zumindest mal ein Raunen durch die Medien gegangen im Kontext der Interessen der USA im Clynch mit Russland und der Rolle der EU in dem Tauziehen (Siehe den Fall Victoria Nuland). Doch gerade wirtschaftliche Interessen z.B. der Fracking-Industrie oder von Agro-industriellen Konzernen wie Monsanto wurden nur selten untersucht und berichtet.

Hintergrund: Die Ukraine ist mit einem sehr fruchtbaren Boden und moderaten klimatischen Bedingungen gesegnet. In der Ukraine gibt es ein Drittel der weltweiten Vorkommen von Schwarzerde, eine sehr nährstoffreiche Erde mit hoher Feuchtigkeitsspeicher-Kapazität. Das ist ein Grund, der die Ukraine zum drittgrößten Baumwoll-Exporteur macht und dem fünftgrößten Exporteur von Getreide.

Schon zu Zeiten der Sowjetunion kamen rund 25% aller landwirtschaftlicher Produkte aus der Ukraine, dem CIA World Factbook zur Folge. Heute sind es noch 20% der ukrainischen Exporte, die nach Russland gehen, ähnlich wie der Anteil an Exporten in die EU. Ca. jede/r vierte UkrainerIn verdient den Lebensunterhalt in diesem Sektor.

Die wirtschaftliche Krise seit 2008 hat auch die Ukraine schwer getroffen. Das BIP des Landes fiel 2009 um ca. 15%. Die wirtschaftliche Negativ-Entwicklung hat die Klingel der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) läuten lassen, welche sich seitdem mit dem Umstrukturieren der ukrainischen Wirtschaft befassen.

Hintergrund: Wenn ein Land auf finanzielle Hilfe der Weltbank oder des IWF angewiesen ist, muss es sich als ‘Gegenleistung’ sogenannten ‘Strukturanpassungsprogrammen’ (SAPs) unterwerfen. SAPs beinhalten in Kürze die Liberalisierung der Wirtschaft, mit dem Ziel den Markt ‘freier’ zu machen und so Investitionen anzulocken, die dann die Wirtschaft beleben. Die Erfahrung aus Ländern der ‘Dritten Welt’ zeigt, dass die SAPs langfristig zu Austerität auf Kosten der Menschen führt.

“Diese Reformen klingen gut auf dem Papier, doch schaut man genauer hin, erkennt man schnell, dass sie zum Vorteil großer multinationaler Korporationen gegenüber Arbeitern und Kleinbauern gschaffen sind.“ — Frédéric Mousseau

Das Oakland Institut in den USA hat 2014 Zahlen zum Ausmaß der Privatisierung veröffentlicht: 1,6 Millionen Hektar fruchtbares Land wurde an große transnationale Firmen vergeben, darunter Firmen mit Sitz in Luxemburg, Frankreich, Zypern und Russland. Auch China spielt hier eine nicht ungewichtige Rolle.

Weiter ist die Ukraine Teil der Pilotländer in der neuen ‘Doing Business’ Strategie der Weltbank. Hier steht die Attraktivität der Wirtschaft für ausländische Investoren im Vordergrund. Im Ranking dieser Strategie werden Länder entsprechend ihrer Investment-Attraktivität aufgelistet. Soziale Sicherungsnetze und Arbeitnehmerrechte führen zu einer schlechteren Platzierung.

‘Hilfsgelder’ der Weltbank an die Ukraine gehen auch deshalb vorwiegend an groß-dimensionierte Unternehmen, welche sich große Flächen Land kaufen und ihre Geschäfte ausbauen. Das Beispiel des ukrainischen Unternehmens Myronivsky Hliboproduct (MHP) zeigt die Problematik sehr deutlich: Seit 2010 hat die ohnehin schon wirtschaftlich starke MHP US$ 200 Millionen finanzieller Unterstützung von der Weltbank erhalten. Sie soll Europa’s größte Hühnerfarm im Herzen der Ukraine errichten.

Das Wachstum dieser geplanten Hühnerfarm benötigt immer mehr Fläche, wodurch MHP Land in der Umgebung von privaten Besitzern dazukaufen muss. Schon jetzt gibt es Berichte, dass Anwohner und Landbesitzer mit kriminellen Methoden gezwungen werden, ihr Land langfristig zu verpachten. Lärm und Gestank sowie mögliche Folgen für die Umwelt sind Teil der Sorgen und Skepsis, welche bisher vollständig ignoriert wurden.

„Wenn Business, der Staat und Investoren einmal in diese Projekte interessiert sind, treten die Interessen der lokalen Bewohner in den Hintergrund.“ — Natalia Kolomiets, Umweltschutzexpertin

Im Fall von Biotechnologie wie genetisch modifiziertem Saatgut hat auch die EU ihre Finger im Spiel. Die politische Lage inklusive der Aktivität im Kontext der SAPs hat das Land zu einem der “vielverprechendsten Wachstumsmärkte für Farmzubehör und Saatproduzenten wie Monsanto und DuPont” gemacht, so der Forschungsdirektor einer Investmentbank Piper Jaffray.

Im Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine wird außerdem das Thema Biotechnologie angesprochen. Bis dato war der Einsatz von GMOs in der Ukraine verboten, doch in Artikel 404 des Abkommens geht es um eine Ausweitung biotechnologischer Aktivitäten auf beiden Seiten.

Die zukünftigen Entwicklungen im Land bleiben abzuwarten, doch die ersten Anzeichen zeigen das altbekannte Resultat: Landbesitzer und Kleinbauern verlieren gegenüber den agra-industriellen Riesen. Dies wird das Land wirtschaftlich langfristig in die Krise stürzen und sie abhängig machen von der Weltbank und dem IWF – wirtschaftlich und schlussendlich auch politisch. In Anbetracht der ohnehin schon instabilen soziopolitischen Lage kann das zu einer flächendeckenden Katastrophe führen.

*Die Zitate sind freie Übersetzungen aus dem Englischen.
**Weitere Informationen können dem ‘Walking on the West Side’ – Report des Oakland Instituts entnommen werden.